KURZGESCHICHTEN


Hier zwei Kurzgeschichten von mir:

1. Kein Anschluss unter dieser Nummer

Kurz vor 7 wachte Helen auf. Ein ungutes Gefühl hatte sie aus ihrem Schlaf geholt, der am Wochenende gewöhnlich erst eine Stunde später endete. Es war warm und schwül im Raum. Neben sich hörte sie ein leises Stöhnen. Sie schaute zu ihrer Rechten nach ihrem Mann. Die Decke ans Fußende geschoben, lag er ausgestreckt auf dem Rücken, die Hände auf seinem Gesicht so, als würde er bitterlich weinen. „Was ist denn?“, fragte sie ihn noch etwas benommen. Als er nicht antwortete, fuhr sie erschrocken hoch: „Geht es dir nicht gut? Hast du Kopfschmerzen?“

Wie oft hatte sie ihm diese Frage voller Sorge gestellt, nachdem ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel vor noch nicht einmal 9 Monaten ein Schlaganfall getroffen hatte, von dem sie dachte, er könne nur ältere Menschen ereilen und nicht ihren Mann mit gerade einmal 49 Jahren. Es war im August gewesen, kurz nach seinem Urlaub, nach dem sie ihn erholt glaubte. Wie ein am Bein verwundeter Krieger war er damals mit letzter Kraft Hilfe suchend oder beinahe wie um Gnade bittend zu ihr von der Küche ins Schlafzimmer gekrochen, da sie seinen Schrei von draußen nicht gehört hatte. Sie war, plötzlich hellwach, aus ihrem Schlummer aufgesprungen, als sie seine schwache Stimme vernommen hatte und hatte seinen Körper, der durch die erschlafften Muskeln um einige Kilo mehr wog, wie einen schweren Sack mühsam ins Bett gezogen. Bald darauf hatte ihn die Feuerwehr ins Krankenhaus gebracht. … weiter lesen:

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2. Missamuot und Frewida


Siegessicher schreitet Missamuot in seinen schweren Botten aus. „Ah, gleich hab’ ich dich!“, frohlockt er angesichts seines heimtückischen Vorhabens. Mit der Heugabel in seiner Rechten nimmt er sich aus wie der tobende, dreizackbewehrte Neptun, der mit seinem wutschnaubenden Atem das Meer aufschäumt, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen so lange, bis ihm die Luft ausgeht. Missamuot bleibt stehen. „Gleich hab’ ich dich!“, flüstert er und schaut zu seinen Füßen, vor denen sich unbekümmert Erdkrumen, eine um die andere, zusehends zu einem stattlichen Haufen aufwerfen. Sodann stemmt er seine Waffe mit beiden Armen in die Höhe und rammt die langen, spitzen Zinken in den lockeren Sand geradewegs so, als gelte es, seinem ärgsten, nun wehrlos am Boden liegenden Feind nach langem Kampf den Gnadenstoß zu geben. „An einer Spitze wirst du hängen, du Mistkerl!“ Ein Hochgefühl erfasst Missamuot, als er sich vorstellt, wie sein verhasster Widersacher in diesem Moment sein Leben aushaucht. Doch als er das Richtwerkzeug aus dem Erdreich ziehen will, um sich den Unhold bei Tageslicht zu betrachten, verfinstert sich der Himmel in Anbetracht dieser abscheulichen Tat. Seinem Schmerz und seiner Trauer lässt er rückhaltlosen Lauf und überschüttet Missamuot mit unzähligen, prasselnden Tränen. Sein Wehgeschrei geht ihm durch Mark und Bein und schreckerfüllt hält der Unbarmherzige inne. „Missamuot! Missamout!“, ruft da Frewida. „Komm’ rein! Los! Du wirst dich noch erkälten!“ „Gut, wir sehen uns später“, sagt er unwirsch zu seinem vermeintlich durchbohrten, in der Erde verborgenen Gegner, löst seine Hände von dem abgeschmierten Holzstiel und begibt sich widerwillig ins Haus. … weiter lesen:

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